11. Juli 2023
Tagesschau ARD Stand: 06.07.2023 11:03 Uhr
Bisher gibt es das Mammographie-Screening zur Brustkrebs-Früherkennung als Kassenleistung nur für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. Diese Altersgrenze soll nun ausgeweitet werden. Was dafür spricht.
Von Sylvaine von Liebe und Anette Kolb, BR
Bei der Diagnose Brustkrebs „zieht es einem schon den Boden unter den Füßen weg“, sagt Sylvia Wagner aus München. Mit ihren über 50 Jahren gehört sie zur Altersgruppe, die auch bisher schon ein kostenloses Mammographie-Screening erhalten hat. Nach ihrer Krebsbehandlung mit diversen Chemotherapien und anschließender Operation ist für sie klar: Sie hat vom Mammographie-Screening profitiert: Nur durch diese Untersuchung wurde ihr Tumor entdeckt, betont sie.
Bald schon könnten auch jüngere und ältere Frauen als Sylvia Wagner alle zwei Jahre ein Mammographie-Screening als Kassenleistung erhalten. Denn aktuell überprüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-Ba) die Ausweitung der Altersgrenze für diese Untersuchung.
Demnach könnten künftig nicht nur Frauen zwischen 50 und 69 wie bisher ein kostenloses Screening erhalten, sondern auch Frauen ab 45 Jahren und bis zum Alter von 75 Jahren. Schon für dieses Jahr ist die neue Verordnung geplant. Doch wie sinnvoll ist diese Änderung?
Mit etwa 30 Prozent aller Krebsfälle ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Mehr als 18.500 Frauen sterben jedes Jahr hierzulande daran. Das Mammographie-Screening-Programm (MSP), das im Jahr 2009 flächendeckend in Deutschland eingeführt wurde, sei durchaus sinnvoll, sagt Dorothea Rjosk-Dendorfer, Radiologin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). „Es ist ganz klar bewiesen, dass dadurch die Sterblichkeit an Brustkrebs reduziert werden kann, weil man Brustkrebs früh erkennt, wo noch keine Metastasierung eingetreten ist.“
Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums der Frauenklinik der LMU, beziffert die Erfolgsquote des Screenings auf 25 Prozent, mit der die Sterblichkeit durch die Untersuchung verringert werden könne.
Ein Argument, das gegen das Mammographie-Screening häufig angeführt wird, lautet: Die Zahl der falsch-positiven Diagnosen sei hoch. Achim Wöckel, Direktor der Frauenklinik und Leiter des Brustzentrums sowie des Genitalkrebszentrums am Universitätsklinikum Würzburg, sagt dazu: „Die Rate der falsch-positiven Befunde liegt beim Mammographie-Screening mitunter im hohen einstelligen Prozentbereich.
Doch der Nutzen hat sich klar gezeigt.“ Vier bis sechs von 1000 Frauen könnten durch das Screening vor einer potenziell tödlichen Brustkrebserkrankung bewahrt werden, verteidigt der Gynäkologe die Untersuchung.
Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) argumentiert in seinem Bericht für den G-Ba für die Ausweitung der Altersgrenze. Gerade bei jungen Frauen im Alter zwischen 45 und 49 Jahren überwiege der „brustkrebsspezifische Überlebensvorteil“ gegenüber den möglichen Schäden, die durch falsch-positive Befunde oder sogenannte Überdiagnosen auftreten könnten – also Diagnosen von Erkrankungen, die sich ohne Untersuchung nie bemerkbar gemacht hätten und ohne Folgen geblieben wären, heißt es in dem Papier. Und bei älteren Frauen sei die Rate der falsch-positiven Befunde ohnehin deutlich geringer, sagt Tanja Fehm, Direktorin der Frauenklinik am Universitätsklinikum Düsseldorf.
Ein Nachteil des Mammographie-Screenings ist die vergleichsweise hohe Strahlenbelastung der Untersuchung. „Die Strahlenbelastung einer Mammographie entspricht ungefähr der eines Transatlantikflugs“, sagt Fehm. Sie stelle also eine potenzielle Belastung dar, denn Röntgenstrahlen könnten selbst auch Krebs auslösen. „Trotzdem ist die Nutzen-Risiko-Bewertung bei der Mammographie diesbezüglich positiv“, sagt die Ärztin.
Zumindest für ältere Frauen bis 75 Jahre hat das Bundesamt für Strahlenschutz Ende vergangenen Jahres eine positive Nutzen-Schaden-Abwägung hinsichtlich des Mammographie-Screenings veröffentlicht. Auch Harbeck vom Brustzentrum in München sagt im Interview mit dem BR, bezüglich der Strahlenbelastung könne man Entwarnung geben, weil dank der neuen Technik sehr gute Bilder mit weniger Strahlung möglich seien.
Frauen im entsprechenden Alter sollten alle zwei Jahre ein Mammographie-Screening durchführen lassen. Der Zeitabstand sei so gewählt, dass man die meisten Veränderungen gerade erkennen könne. „Größere Zeitabstände sind zu unsicher, kleinere wären zu früh“, erklärt dazu die Radiologin Rjosk-Dendorfer.
Was gegen ein Mammographie-Screening bei Frauen unter 50 Jahren spricht: Bei ihnen ist die Brustdichte höher, Tumore dadurch beim Screening schwerer zu erkennen. Trotzdem hält die Gynäkologin Harbeck eine Ausweitung der Altersgrenze nach unten für Frauen ab 45 Jahren für „absolut sinnvoll.“
Abtasten statt Screening, das reicht laut Fehm nicht aus. „Abtasten ist keine Früherkennung“, warnt sie. Potenziell gefährliche Gewebeveränderungen seien meist erst ab einer Größe von ein bis zwei Zentimetern ertastbar. „Und abhängig von ihrer Periode ertasten sich bei Frauen die Brustdrüsen auch anders.
Deshalb gehört die Abtastuntersuchung zwar auf jeden Fall dazu, sie stellt aber keine klassische Krebsfrüherkennung dar“, sagt Fehm. Bei einer postmenopausalen Frau, die einen neuen Tastbefund habe, sollte auf jeden Fall eine Abklärung erfolgen, betont auch Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen.